top of page

Mehr Geld für den Schweizer Frauenhandball

Nachdem die Schweizer Auswahlteams deutlich an internationalem Renomée gewonnen haben, wollen sich auch die Schweizer Spitzenklubs und die SPL1 weiter nach vorne entwickeln. Der Weg dorthin ist zwar beschwerlich, aber möglich. Dazu braucht es visionäres Denken, mutige Entscheide und mehr finanzielle Mittel.

Dieser Artikel ist in der Handballworld Saisonvorschau ende August 2024 erschienen.


Text: Ernesto Piazza



Der Frauen-Handball gewinnt zusehends an Interesse. International wie national. An den unlängst in Paris zu Ende gegangenen Olympiade war das Frauen-Handballturnier auch ein Zuschauermagnet. Es wurde spektakulärer Sport bei einer tollen Atmosphäre geboten. Und dies nicht nur, wenn «Les Bleus» spielten. In der Schweiz verfolgten in der letzten Spielzeit über 20 Prozent mehr Zuschauende die Partien der SPAR Premium League. Mit dem Saisonhöhepunkt zum Ende: ein hochspannender, ja begeisternder Playoff-Final zwischen dem LC Brühl und GC Amicitia Zürich. Dort herrschte in vollen Hallen eine tolle Stimmung, gepaart mit Live-TV-Übertragungen. Bei der Ende November/anfangs Dezember in Basel stattfindenden Europameisterschaft ist das Interesse ebenfalls bereits augenfällig. Und im Juni gewannen die Juniorinnen an der U16 European Open, an den inoffiziellen europäischen Titelkämpfen, die Goldmedaille und damit erstmals überhaupt Edelmetall für den Schweizer Frauenhandball. Die U20 Juniorinnen belegten im Sommer an der WM in Nordmazedonien Rang acht.


Verband hat Zeichen erkannt

Doch wie gut sind die Perspektiven des Schweizer Frauenhandballs tatsächlich? Vor vier Jahren hat der SHV seine CONCORDIA Handball-Akademie für die Frauen in Cham eröffnet. Mit Alessia Riner und Norma Goldmann haben bereits zwei der Teilnehmenden den Sprung ins Ausland geschafft. Mit der vom SHV kürzlich kommunizierten neuen personellen Besetzung, die mit einem erneuten Wechsel beim Cheftrainerposten einher geht, will der Verband weiterhin zeigen, wie wichtig ihm dieses Gefäss ist. So übernimmt Nationaltrainer Knut Ove Joa künftig auch die Verantwortung für die sportlichen Belange der CONCORDIA Handball-Akademie. Der Norweger wird temporär im OYM präsent sein. Während seiner Abwesenheit leiten Damian Gwerder, Vroni Keller, Gréta Grandjean und Goalietrainer Miloš Čučković die Einheiten. Der Vertrag mit Manuel Schnellmann, dem Nachfolger von Martin Albertsen, wurde nach wenigen Monaten wieder aufgelöst. Mittlerweile ist die Zeit für alle Spielerinnen des ersten CONCORDIA Handball-Akademie Lehrgangs vorbei. Deshalb drängt sich die Frage auf: Wie viel bleibt von der Ausbildung nachhaltig zurück? Gibt es für diese Talente eine Anschlusslösung? «Ja, die gibt es», sagt Karin Weigelt. Ihr obliegt beim SHV die Leitung Leistungssport Frauen. Der Name: Development-Team. Grundsätzlich werden Spielerinnen so weiter unterstützt und begleitet – und zwar nicht nur Akademie-Abgängerinnen (siehe Box).


Aufwand bereits auf Halbprofi-Level, aber ohne Entschädigung

Der SHV sucht damit auch den Weg zu den Vereinen. Erste Kontakte sind bereits erfolgt, wie Spono-Headcoach Urs Mühlethaler bestätigt. Er findet diesen Weg «grundsätzlich gut». Wobei man natürlich abwarten müsse, wie dieser dann letztlich aussehen wird. Die Eagles haben mit Nuria Bucher, Sev Albrecht und Nora Snedkerud drei Spielerinnen, welche die CONCORDIA Handball-Akademie absolviert haben und wieder vollumfänglich in den Trainingsbetrieb eines SPL1-Teams eingestiegen sind. Für sie könnte eine solche Lösung durchaus eine Variante sein, da sie mit einem Wechsel ins Ausland liebäugeln. In der nächsten Saison allerdings, spielt das Trio noch in der Schweiz, bei den Eagles.


Dass mittlerweile diverse Spielerinnen den Weg ins Ausland gewagt und auch gefunden haben, ist zweifellos positiv zu werten. Sie spielen in Deutschland, Frankreich oder Dänemark. Dieser Weg muss konsequent fortgesetzt werden. Um dem Schweizer Frauenhandball aber zusätzlichen Schub zu verleihen, braucht es nächste Impulse. Die Schweizer Liga und damit deren Vereine sind gefordert. Bei der überschaubaren Breite von Topspielerinnen müssen diejenigen, die sich hierzulande auf einem höheren Niveau entwickeln und spielen wollen, Perspektiven vorfinden.


Wenn man den Aufwand betrachtet, den die Spitzen-Handballerinnen in der Schweiz betreiben, bewegt sich dieser meist bereits auf Halbprofi-Level. Bei Spono sind es sechs bis sieben Einheiten pro Woche. Beim Tripple-Gewinner Brühl bewegt sich die Anzahl der wöchentlichen Trainings in einer normalen Meisterschaftswoche bei fünf Handball-, zwei Kraft- und einer Athletikeinheit. Im selben Rahmen trainiert auch der LK Zug mit vier Hallen-, zwei Athletikeinheiten und ebenso vielen individuellen Techniktrainings. Bei Yellow sind es währen der Saison fünf Hallen- und zwei Krafttrainings. Kreuzlingen hat sechs Einheiten pro Woche. Herzogenbuchsee und die weiteren SPL1 Teams trainieren auch nicht wirklich weniger.


Ohne Bezahlung eigentlich nicht machbar

«Mit dieser Intensität bewegen wir uns auf derselben Stufe, wie die Männer des Bundesligisten Füchse Berlin. Und da reden wir von Profis», bemerkt Mühlethaler. Deshalb ist er überzeugt, «dass es nicht mehr Trainingsstunden braucht.» Was hingegen fehle, sei vor allem die Zeit für die Regeneration. Und damit auch der Effekt, das Verletzungsrisiko zu reduzieren. «Wenn die Füchse-Spieler nach den Einheiten zur Physio gehen oder sich erholen, heisst es bei uns zurück ins Studium oder zur Arbeit.» Und dieses Thema ist nicht zu vernachlässigen, denn jeder Trainer und jede Trainerin lernt in der Ausbildung, dass nur das Zusammenspiel von gesteuerter Belastung und Erholung die entsprechende Leistungssteigerung im Körper auslöst!


Deshalb weiss der Eagles-Meistertrainer: «Wenn wir den Schweizer Frauenhandball weiter nach vorne bringen wollen, müssen die Rahmenbedingungen deutlich verbessert werden. Vor allem die finanziellen Entschädigungen für die Spielerinnen bedürfen einer Anpassung.» Nur so kann man verhindern, dass Spielerinnen immer wieder viel zu früh aufhören, ohne dass sie ihren Leistungszenit erreicht haben. Da sie das Missverhältnis von Aufwand und Ertrag nicht mehr eingehen können, denn irgendwo her muss das Geld kommen, um den Lebensunterhalt zu bestreiten.


Vereinsbudgets müssten nach oben entwickelt werden

Das heisst nun wiederum: Will man hier entgegenwirken, brauchen die Vereine mehr finanzielle Mittel. Aktuell bewegen sich die Budgets gemäss Angaben der SPL1-Vereine in einer Bandbreite zwischen zirka CHF 150‘000 Franken und rund 380‘000 Franken. Darin enthalten sind die Aufwände, welche ausschliesslich das Team betreffen. Wie Löhne und Spesen der Spielerinnen, Trainersaläre, Trainingslager, Physio, Verbandsabgaben und weitere Betriebskosten.


Bei diesem finanziellen Korsett, in dem sich die SPL1-Vereine befinden, ist klar: Kein Klub ist in der Lage, einer Schweizer Spielerin eine monatliche Entschädigung (inkl. Spesen) von beispielsweise 2‘000 Franken zu bezahlen. Das hat die Umfrage bei den Vereinen der obersten Schweizer Liga ergeben. Eine solche Entschädigung wäre aber dringend notwendig, denn Spielerinnen, die nicht mehr zuhause wohnen, wären darauf angewiesen. Was man aus den Budget-Zahlen ebenfalls herauslesen kann: Die Spannweite innerhalb der Klubs ist beträchtlich. Hier kann allerdings die regional unterschiedliche Wirtschaftskraft eine Rolle spielen. Will man weiterkommen, «müssten die Vereine ihre Etats um mindestens 100‘000 Franken jährlich erhöhen können», mutmasst Sponos Sportchef Urs Mühlethaler. «Zudem muss es uns gelingen, im Frauenhandball in die Infrastruktur zu investieren.» Bei den Männern gibt es in Bern, Schaffhausen oder Winterthur entsprechende Arenen. Hallen, die auch Möglichkeiten bieten, ein Ambiente zu schaffen, das die Attraktivität dieser Sportart weiter steigern wird. In Luzern kommt im nächsten Jahr mit der Pilatus-Arena eine weitere topmoderne Halle dazu. Bei den Frauen besteht hier hingegen Nachholbedarf.


Menschen mit «verrückten» Ideen gefragt

Solche Schritte mögen auf den ersten Blick unrealistisch erscheinen. Doch um Grosses zu erreichen, braucht es visionäres Denken. Gerade jetzt, in einer Zeit, wo Frauen in der Gesellschaft mit «female Empowerment» mehr Akzeptanz einfordern, emanzipiert sein wollen. Wo deren Förderung in Politik, Wirtschaft, aber auch im Sport, immer mehr zum Thema wird. Sport und Business: Unternehmen setzen Frauen als Werbebotschafterinnen ein, versuchen auf diesem Weg ihre Zielgruppen besser zu erreichen. In Firmen wird Frauenpower vermehrt für Führungspositionen gesucht. Und weil der heutige Zeitgeist den Frauensport zusehends erfasst, müssten die Perspektiven, um tatsächlich etwas zu bewegen, eigentlich vielversprechend sein.


Es braucht Macherinnen und Macher. Menschen, die für den Frauen-Handball ein offenes Ohr und vor allem ein Herz haben. Die sich für diese aufstrebende und elektrisierende Sportart inspirieren und finanziell engagieren lassen. Mäzene, die mit Überzeugung für eine «gute Sache» einstehen. Beim Schweizer Männer-Handball wären die Kadetten Schaffhausen ohne Giorgio Behr nicht dort, wo sie sind. Auch die BBC Arena zeigt seine Handschrift.


Und weil die Politik solche Vorhaben nicht stütze, so Mühlethaler, «sind Eigeninitiativen gefragt». Menschen, die «verrückte» Ideen ins Spiel bringen und diese auch unterstützen. «Warum nicht eine SPL1-Meisterschaft mit sechs Mannschaften spielen, dabei den Regionenbezug mitberücksichtigen und jedes Team mit einem Mäzen ausstatten?», fragt er. Mit dem Ziel, dass diese potenten Sponsoren einer Halb-Professionalisierung den Weg ebnen.


Allerdings ist sich Mühlethaler ob einer solchen Vision bewusst: «So ein Vorhaben bräuchte ein Bündeln aller Kräfte, zu deren Realisierung erstmal ein runder Tisch mit den hierfür Verantwortlichen geschaffen werden müsste. Und es bräuchte vor allem bei den Diskussionen gegenseitige Akzeptanz. Wobei der Ball unmöglich nur bei den Vereinen liegen darf.» Vielmehr sieht er hier den Verband gefordert. Weil es dazu ein Netzwerk braucht, mit persönlichen und vertrauensvollen Kontakten zu möglichen Geldgebern. Die Gründung einer Community könnte ebenfalls helfen, die Bewegung breit abzustützen. Um gemeinsam auf einer positiven Frauen-Handballwelle zu surfen.


Vieles befindet sich bereits auf erfolgversprechendem Weg. In den letzten Jahren ist Drive in die Veränderungen gekommen. Der Wille näher an die internationale Spitze zu rücken, ist vorhanden. Vor allem die Spielerinnen leisten praktisch zum Nulltarif einen sehr, sehr grossen Einsatz! Nützen wir also die Aufbruchstimmung.


 

Development-Team als Anschlusslösung


Damit die OYM-Ausbildung für deren Abgängerinnen nachhaltig bleibt, braucht es für sie eine Anschlusslösung. Unter dem Namen Development-Team initiiert der Verband ein neues Gefäss. Damit werden Spielerinnen weiter unterstützt und auf ihrem sportlichen Weg begleitet. Dafür soll unter anderem eine Umfeldmanagerin zuständig sein. Sie schaut mit den Spielerinnen beispielsweise auch die Karriereplanung an. Davon sollen aber nicht nur Akademie-Abgängerinnen profitieren.


«Mit zu diesem Projekt gehören ebenfalls regelmässige Stützpunkttrainings», sagt Karin Weigelt . Ihr obliegt beim SHV die Leitung Leistungssport Frauen. «Wir wollen die Spielerinnen auch im athletischen Bereich weiterbringen.» Hier gibt es tatsächlich, im Vergleich zu den Topnationen, noch einiges an Potenzial. Darum besteht auch die Absicht, mit den Athletiktrainern der Vereine zusammenzuarbeiten. Das Ziel des Verbandes ist, dass diese Spielerinnen – etwa zehn im Alter U23/U20 und ungefähr zehn im Alter U16/U18 - begleitet werden. «Immer mit dem Bestreben», so die Chefin Leistungssport Frauen, «dass sie eine professionelle Karriere einschlagen können.»

Comments


Featured Posts
Versuche es später erneut.
Sobald neue Beiträge veröffentlicht wurden, erscheinen diese hier.
Recent Posts
Archive

Handballworld AG  |  Badstrasse 11  |  5400 Baden

verlag@handballworld.com  |  056 437 03 13

  • Facebook
  • Youtube
  • Spotify
  • Instagram
  • LinkedIn

© 2025 by Handballworld AG

bottom of page